Erklärung zur Abstimmung: Entwurf eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (19. AtGÄndG)

Freitag, 11.11.2022

Mit der Änderung des Atomgesetzes strebt die Bundesregierung an, die Laufzeit der drei verbleibenden Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland über den 31.12.22 bis zum 15.04.23 zu verlängern.

Diese Laufzeitverlängerung lehnen wir ab.

Diese Laufzeitverlängerung ist energiewirtschaftlich nicht geboten. Die von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Stresstests der Netzbetreiber ergaben keine beziehungsweise nur eine kleine Rolle der beiden süddeutschen Atomkraftwerke.

Deutschland hat kein Stromerzeugungskapazitätsproblem. Bayern vor allem aber hat aufgrund seiner Defizite beim Ausbau der Windkraft und des Netzausbaus bei anhaltendem Ausfall von Stromkapazitäten in Frankreich möglicherweise ein Problem mit der Netzstabilität. Hierzu können die beiden Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 nur einen Beitrag von zusammen maximal 0,5 GW leisten. Selbst in den Worst-Case-Szenarien gibt es aber eine Deckungslücke von 4,6 bis 8,6 GW.

Eine Laufzeitverlängerung hilft nicht bei der Einsparung von Gas. Der zweite Stresstest beziffert die potenzielle Einsparung im Promillebereich.

Eine Laufzeitverlängerung bis zum 15.04. senkt auch die Strompreise im Großhandel – notwendige Stillstände für Rekonfiguration und Wartung berücksichtigt – um knapp 1 % (Quelle/ ). Das ist nicht geeignet, den durch den anhaltenden Ausfall von rund 50 % der französischen Atomkraftwerke in die Höhe getriebenen europäischen Strompreis auch nur annähernd zu kompensieren. Die Endverbraucher*innen spüren hiervon nichts.

Der Betrieb von Atomkraftwerken geht mit Risiken einher, die im Fall ihres Eintritts nicht beherrschbar sind. Deshalb hat Deutschland 2011 parteiübergreifend beschlossen, diese Risiken nicht länger tragen zu wollen. Im Atomkonsens wurde festgelegt, dieses Risiko spätestens Ende 2022 geordnet zu beenden, obwohl damals schon frühere Ausstiegsdaten denkbar waren. So hatte das Umweltbundesamt schon einen Ausstieg im Jahr 2017 für möglich gehalten. Inzwischen liefern Wind und Sonne doppelt so viel Strom, wie die Atomkraft in ihren besten Zeiten.

Einen solchen Konsens aufzukündigen, bedarf gewichtiger Gründe. Diese liegen hier nicht vor – im Gegenteil. Gerade im benachbarten Frankreich offenbart sich die Idee, mit Atomkraftwerken für Versorgungssicherheit zu sorgen, als ein Desaster, das die Strompreise in ganz Europa in die Höhe treibt.

Vor diesem Hintergrund hätten wir uns dennoch der von BMWK und BMUV vorgeschlagenen Idee eines konditionierten Reservebetriebs nicht verschlossen.

Die Laufzeitverlängerung, die nun auf Grund einer Weisung des Kanzlers verabschiedet werden soll, macht aber aus einen konditionierten Reservebetrieb von zwei süddeutschen Atomkraftwerken eine bedingungslose Laufzeitverlängerung von drei Atomkraftwerken.

Diese Weisung ist nicht nur energiewirtschaftlich fragwürdig. Der Zwang zum Weiterbetrieb des AKW Emsland hält ein Grundlastkraftwerk für eine Region im Netz, in der regelmäßiger Windparks abgeschaltet werden müssen, um die Netzstabilität nicht zu gefährden. Die Netzstabilität in Norddeutschland gerät anders als in Süddeutschland regelmäßig durch zu viel – nicht durch zu wenig – Strom im Netz in Gefahr. Der Weiterbetrieb von Emsland stabilisiert hier gar nichts.

Die Weisung des Bundeskanzlers bindet den Bundestag nicht. Weshalb wir in Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag der Laufzeitverlängerung für die Risikotechnologie Atomkraft über den 31.12.22 hinaus nicht zustimmen.

 

Sven-Christian Kindler

Helge Limburg

Julian Pahlke

Filiz Polat

Jürgen Trittin