Reformiert die Schuldenbremse!

Sonntag, 31.01.2021

Überraschend hat der Chef des Kanzleramts eine Änderung des Grundgesetzes für eine befristete Möglichkeit der Neuverschuldung nach Corona vorgeschlagen. Mit dem Vorstoß von Helge Braun ist die Debatte um die Schuldenbremse da angekommen, wo sie hingehört: in die Union. Bisher hatten sich CDU und CSU ideologisch eingemauert. Wer aber nüchtern die Realität im Bundeshaushalt betrachtet, wird feststellen, dass in den nächsten Jahren die restriktiven Vorgaben der Schuldenbremse nicht einzuhalten sind. Zumindest nicht ohne extrem hohe Kosten für Gesellschaft und Wirtschaft. Sozialkürzungen und sinkende Investitionen wären Gift für die wirtschaftliche Erholung und den sozialen Zusammenhalt nach der Pandemie. Es darf daher kein Kaputtsparen nach Corona geben.

Wir müssen uns jetzt aktiv aus der Krise herausarbeiten. Das geht am besten mit hohen öffentlichen Investitionen. Und: Mehr öffentliche Investitionen führen zu deutlich mehr privaten Investitionen. Dabei geht es nicht nur um die Pandemie und ihre Konsequenzen. Wir leben in einer Zeit multipler Herausforderungen. Die Klimakrise ist wegen Corona nicht im Lockdown. Die Digitalisierung stellt Unternehmen und Beschäftigte vor enorme Herausforderungen und auch im Bildungssystem gibt es seit Jahren eher Stillstand als Fortschritt. Sozialer, bezahlbarer Wohnraum darf keine Mangelware in den Großstädten sein. Gründe genug endlich die Investitionsbremse zu lösen.

Die Schuldenbremse braucht nach zwölf Jahren eine Überarbeitung, um sie an die aktuellen Herausforderungen anzupassen. Das geht nicht ohne eine Änderung des Grundgesetzes. Wir sollten daher mehr machen als nur kurzfristig und zeitlich begrenzt Symptome zu bekämpfen. Wir brauchen eine dauerhafte Lösung. Die aktuelle Schuldenbremse ist blind gegenüber Investitionen, die neues Vermögen schaffen. Das muss jetzt geändert werden.

Wenn wir jetzt nicht massiv in Klimaschutz und Digitalisierung investieren, verpassen wir weltweit den Anschluss und schlimmer, wir zerstören unsere Lebensgrundlagen. Zudem sind die Zinsen historisch niedrig, sogar negativ, und dieser Trend wird anhalten. Seit den 1980er Jahren sinken die Realzinsen in den Industrieländern kontinuierlich. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, einen Investitionsfonds in Höhe von 500 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre aufzulegen. Dafür brauchen wir eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, um Nettoinvestitionen aus diesem Fonds künftig über Kredite finanzieren zu können.

 

Von Sven-Christian Kindler MdB, Betriebswirt, Sprecher für Haushaltspolitik, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag

Als Gastbeitrag erschienen im Weser Kurier am 31.01.2021